Wir beglückwünschen ganz herzlich Antonio da Silva, dem am 3.10.2023 der Integrationspreis des Bezirks Lichtenberg überreicht wurde.
Antonio da Silva ist Protagonist in einem der Filme vom Runden Tisch für politische Bildung über Migrationsgeschichten in Lichtenberg. In “Wir haben Spuren hinterlassen” (2022) von Filmemacher Malte Voß wird da Silva – neben anderen – als Person vorgestellt und sein großes Engagement für die mosambikanische Community gezeigt, für das er nun geehrt wurde.
Wir freuen uns hier und zu diesem feierlichen Anlass die Laudatio von Malte Voß veröffentlichen zu dürfen:
Laudation Antonio da Silva
Sehr geehrte Damen und Herren,
Es ist mir eine Ehre hier heute Antonio da Silva vorstellen zu dürfen.
Antonio da Silva wurde 1957 in Chimoio, in Portugiesisch-Ostafrika, geboren. Er hat zwei Stiefsöhne und eine Tochter aus erster Ehe. Mit seiner zweiten Frau Dolgorjav hat er eine weitere Tochter. Er lebt mit Unterbrechung seit 1981 in Lichtenberg. Insgesamt fast 40 Jahre.
Heute wird Antonio da Silva der diesjährige Integrationspreis von Lichtenberg verliehen. Ausschlaggebend ist sein unermüdlicher Einsatz für die mosambikanische Community im Stadtteil, aber auch darüber hinaus und ich freue mich, dass dieses Engagement durch den Preis Anerkennung und Würdigung erfährt.
Antonio da Silva kommt 1981 im Alter von 18/19 Jahren aus der Volksrepublik Mosambik nach Deutschland, um in der DDR als Vertragsarbeiter zu arbeiten. Er wird im VEB Fleischkombinat Berlin, an der Storkower Straße, ausgebildet.
1990 wird Deutschland wiedervereinigt und er – was ich in diesem Zusammenhang sehr interessant finde – erlebt damit den zweiten radikalen Systemwechsel nach Ende der Kolonialzeit in Mosambik mit. Er kann heute sagen, dass er in zwei verschiedenen Ländern, aber gleichzeitig in vier verschiedenen Staatsgebieten gelebt hat: In Portugiesisch-Ostafrika, in der Volksrepublik Mosambik, in der Deutsche Demokratische Republik und seit der Wiedervereinigung in der Bundesrepublik Deutschland.
Der Schlachtbetrieb, in dem Antonio da Silva fast zehn Jahre gearbeitet hat, wird 1991 im Zuge der Abwicklung der Ostdeutschen Wirtschaft stillgelegt. Wie die meisten Vertragsarbeiter:innen und auch viele seiner ostdeutschen Kolleg:innen, kann er nicht in seinem Beruf weiterarbeiten. Ein Großteil des Geldes, was vom Lohn der Vertragsarbeiter:innen anteilig nach Mosambik überwiesen werden sollte, um ihnen nach einer Rückkehr ausgezahlt zu werden, ist weg.
Zusätzlich zur Arbeitslosigkeit sehen sich ehemalige Vertragsarbeiter:innen in den Neunzigerjahren nahezu täglich Anfeindungen oder Angriffen ausgesetzt. Rassistische Übergriffe geschehen auf der Straße, aber gehen auch von Menschen in Behörden und Angehörigen des Polizeiapparats aus. So sind die Neunzigerjahre für viele ehemalige Vertragsarbeiter:innen eine Zeit der Gewalt und Angst. Nicht zuletzt wegen der unsicheren Aufenthalts- und Arbeitssituation.
Erst ab 1997 ist es ihnen möglich, eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis zu bekommen. Damit werden ausländische Arbeitskräfte aus der DDR erst sieben Jahre nach der Wiedervereinigung denjenigen der BRD rechtlich gleichgestellt.
Trotz der Widrigkeiten bleibt Antonio da Silva und baut sich hier etwas auf: Seine ersten Frau Erika lernt er bereits Anfang der Achtzigerjahre kennen. Die beiden bekommen eine Tochter und ziehen zusammen die zwei Söhne groß, die seine Frau mit in die Beziehung bringt. Sie arbeiten in einer Reinigungsfirma und eröffneten später zusätzlich ein Restaurant, in dem sie abends arbeiteten. Die Beziehung geht irgendwann in die Brüche. Heute führt er zusammen mit seiner zweiten Frau Dolgorjav ein Reinigungsunternehmen.
Neben Beruf und Familie ist Antonio da Silva im Fußball aktiv. Ob nun in Mosambik, der DDR oder später in der BRD. Er spielt lange beim SV Empor Berlin und beim SV Lichtenberg 47 hier im Bezirk. Später nutzt er seine Leidenschaft für den Sport auch neben dem Platz: Er bietet Fußballtraining für Jugendliche an und organisiert für ein Turnier Mosambikanische Teams – aus Lichtenberg, Hellersdorf, Schwedt und Hoyerswerda. 2002 gründet er mit einem Bekannten das Team Iron Devils Berlin, mit denen er mehrere Jahre ein antirassistisches Fußballturnier ausrichtet und an dem wiederum die Mosambikanischen Teams teilnehmen.
Generell ist das Zusammensein wichtig für die mosambikanische Community. Diese Kultur haben sie aus der Heimat mitgebracht, sagt er mir in einem unserer Gespräche:
„Aus Mosambik sind wir Familie und Zusammensein gewohnt.
Wenn wir uns treffen geht es uns gut.“
Aufgrund des Mangels an sozialen Treffpunkten organisiert er kurzerhand Grillfeste im Park. Im Stadtpark Lichtenberg – unweit seiner Wohnung – mittlerweile seit mehr als 20 Jahren. Zu den Treffen kommen Mosambikaner:innen aus Friedrichshain, Tempelhof, Hellersdorf und Charlottenburg. Ohne dieses zentrale Treffen würden sich viele von ihnen gar nicht sehen. Antonio da Silva ist dabei unermüdlich und lässt sich auch nicht durch Rückschläge demotivieren, wie sein Freund Ibraimo Alberto über ihn berichtet:
“Er gibt nie auf. Auch wenn manchmal keine Leute gekommen sind,
niemand da bleibt um beim Aufräumen zu helfen oder zu wenig Geld zusammenkommt
um seine Auslagen wie Grillkohle oder das Essen zu bezahlen,
Mugabe ist trotzdem in der nächsten Woche wieder da.
Er informiert immer alle und sorgt dafür, dass keiner vergessen wird.”
Da hier zum ersten Mal der Name Mugabe fällt, möchte ich an dieser Stelle die Anekdote einstreuen, wie es zu diesem Namen gekommen ist.
In Ländern wie Simbabwe oder Mosambik, wurden (oder werden vielleicht immer noch?) bei Wahlkämpfen die Gesichter der Kandidat:innen auf Stoffe gedruckt, bspw. für Transparente. Wenn dann die Wahl vorbei ist, werden diese Stoffe einfach anderweitig weiterverwendet. Zum Beispiel wird Kleidung daraus genäht.
Während seiner Zeit beim Militärdienst trug Antonio da Silva zufällig ein T-Shirt mit dem Konterfei von Mugabe und ein Kantinenmitarbeiter sprach ihn so an, als er in der Schlange zur Essensausgabe stand: „Hey Mugabe!“ – Dieser Spitzname ist hängen geblieben.
Die Grillfeste sind nicht nur eine Gelegenheit zum sozialen Austausch, sondern dienen auch als Ort für Geburtstags- und Trauerfeiern. Generell sorgt sich Antonio da Silva in den letzten Jahren auch um andere soziale Belange „seiner Mosambikaner,“ wie er gerne sagt. Denn das Alter bringt für die ehemaligen Vertragsarbeiter:innen neue Herausforderungen mit sich. Viele von den meist männlichen Mosambikanern sind alleinstehend. Wenn jemand schwer krank wird ist Hilfe nötig, das Ausfüllen von Anträgen fällt schwer. Auch bei Sterbefällen kümmert er sich mit anderen darum, dass der Verstorbene nicht nur ein anonymes Begräbnis ohne Grabstein erhält, sondern im besten Fall eine Überführung nach Mosambik. Und eine traditionelle und würdevolle Zeremonie – zum Beispiel im Stadtpark Lichtenberg, wo sie alle zusammenkommen können.
Für all diese Dinge übernimmt Antonio da Silva seit Jahren Verantwortung – selbstlos, rein ehrenamtlich, informell und ohne offizielles Amt. Er ist ein Macher und Netzwerker. Seine Taten sind ein Zeichen für Solidarität und Menschlichkeit, die Grundpfeiler einer lebenswerten Gesellschaft. Und es zeigt, dass es oft die selbstlose Initiative einzelner ist, die das soziale Gefüge und Zusammenhalt stärkt.
Lichtenberg kann froh sein, dass es Menschen wie Antonio da Silva hat, die Verantwortung übernehmen. Der Integrationspreis ist eine Anerkennung dessen.
Aber Integration bedeutet die gegenseitige Übernahme von Verantwortung. Diese Gegenseitigkeit wird leider oft vergessen, und Integration wird – wie die Schriftstellerin Sharon Dodua Otoo einmal kritisch anmerkte – von der Gesellschaft oft mit Assimilation, also Anpassung, verwechselt.
Seit Oktober 2022 besteht ein generelles Grillverbot in allen öffentlichen Grünanlagen Lichtenbergs. Gründe dafür werden der Bezirk und seine Organe sicher viele aufführen können. Eine Folge ist jedoch, dass Mugabes Grillfeste in der beschriebenen Form nicht mehr stattfinden und der mosambikanischen Community (und nebenbei bemerkt vielen anderen Communities auch) wurde damit eine wichtige Institution genommen.
Aber jetzt wollen wir den Preisträger feiern:
Lieber Mugabe, all das Genannte verlangt mir großen Respekt ab. Du bist ein Vorbild und ich freue mich sehr, dass dies heute durch diesen Preis gewürdigt und sichtbar gemacht wird!
Malte Voß, Berlin-Lichtenberg, 03.10.2023
Bild: (v.l.n.r.) Martin Schaefer mit Natalia Schwandt, Anas Rukbi, Preisträger Antonio da Silva und Staatssekretär Max Landero bei der Verleihung des Lichtenberger Integrationspreises 2023. Quelle: BA Lichtenberg